Mary wurde im Alter von 19 Jahren durch den Großvater der Kinder, für die sie Babysitter war, vergewaltigt. Daraufhin erlebte sie zwei bis dreimal wöchentlich wiederkehrende Albträume über den Zeitraum von 21 Jahren. Mit jedem Albtraum fühlte sie sich von neuem geschändet und vergewaltigt. Sie litt unter den Symptomen einer PTBS und zusätzlich kämpfte sie mit chronischen Schlafstörungen sowie einem immer größer werdenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Trotz langjähriger psychiatrischer Behandlung und verbaler Gesprächstherapie erlebte Mary keine Entlastung von dem Albtraum und den dadurch ausgelösten Qualen.
Mary wurde mir für eine Trauma-Therapiesitzung zugewiesen um die Symptome zu remittieren. Sie wurde anfangs gebeten die gesamte Vergewaltigungsszene detailliert zu visualisieren und laut zu verbalisieren bis zum belastenden Moment der Vergewaltigung. An dieser Stelle bat sie der Therapeut, was sie gerne anders machen würde. Sie reagierte: „ Ich will ihn so fest wie ich nur kann in den Schritt treten,“ und diese Handlung konnte sie in der Ausführung visualisieren. Nachdem sie „gesehen“ hatte, wie der Täter auf den Boden fiel, seinen Schritt hielt und vor Schmerzen schrie, trat ihn Mary zweimal auf den Kopf, und dann – während sie ihren Finger auf ihn richtete – visualisierte sie sich, wie sie ihm direkt ihre Gefühle über die Vergewaltigung mitteilte (etwas, was sie vorher noch nicht in der Lage war zu tun). Am Ende der imaginativen Neu-Schreibung (Rescripting) Sitzung, befahl sie ihm, zu gehen (mit ihren eigenen Bedingungen) und niemals wieder zurück zu kehren. Ihre letzten Worte in der Imagination waren: “…und wenn du jemals zurück kommst, werde ich dich töten!“ Damit wurde der traumatischste Moment ihrer Erinnerung in eine Szene der Ermächtigung transformiert.
Am Ende der Imaginationssitzung hatte sich Marys Affekt dramatisch verschoben. Sie lächelte breit und nahm ein tiefes Gefühl der Bewältigung wahr. In dieser Nacht hatte Mary den Albtraum erneut, aber dieses Mal schrieb sie ihn in ihrem Schlaf um, so wie sie es am vorigen Tag in meinem Büro getan hatte. Im Anschluss daran und bei Erhebung der Katamnese sechs Monate später berichtete Mary von keinen weiteren Vorkommnissen des Albtraumes.
Indem die sich wiederholenden Opfer-Bilder zu Bewältigungs-Bildern transformiert wurden, wurde erreicht, dass (1) Marys Schemata von Schikanierung und Machtlosigkeit modifiziert wurde, und (2) sie in der Hier-und-Jetzt Realität verankert wurde, somit die Vergewaltigungsbilder von vor 21 Jahren für sie keine weitere Bedrohung bedeuteten. Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy (IRRT) entwickelte sich aus dieser erfolgreichen Imaginationssitzung, die mit Mary in 1990 geführt wurde.
Mervin Smucker (2012).